Donnerstag, 28. März 2013

Service/Wüste

„Das wieder Beweis … alle … Psychiatrie arbeiten … selbst einen an der Klatsche … heute Morgen da hinkomme … Sprechstundenhilfe hat Tränen … entschuldigen Sie … Verzug … Computer … Problem … Patientenprogramm nicht hoch … Karte gar nicht einlesen … furchtbar … Formular ausfüllen … vom Wartezimmer Behandlungsraum … Frau Doktor hektisch auf und ab … Telefonhörer am Ohr … laut und keifend … staucht Serviceberater der Softwarefirma … ich aufgerufen… in Zimmer … gute Frau wieder am Telefon … Einrichtung inspiziert und meine Fingernägel … Gezeter fertig … in epischer Breite schildert … EDV nicht funktioniert … nur genickt … was hätte ich sagen sollen … sie nicht unnett … auch nicht überzeugend professionell … in meiner Gegenwart Dienstleister zur Minna macht … gerne wissen … ihr Alter … vielleicht so wie wir… kann auch jünger … vielleicht Kinder … letzte 20 Minuten … lapidar … ich erzähle aus meinem Leben … Versuch … Kürze zu schildern … wie es mir geht … wie lange … schon einmal Therapie … und Antrag für weitere stationäre Behandlung besprechen … soll Antrag … ausfüllen und schicken … kurz ihr Statement drauf … allerdings zwei Wochen Urlaub … Scheiße … vorher gewusst … Antrag vor einer Woche … dann jetzt … Antrag längst stellen … wieder ein paar Wochen verloren … nicht vor Juni … oder Juli … Sommerferien gleich vergessen … bürokratischer Scheiß … Anträge nicht stellen … Krankenkassen ihr Geld horten … frage Frau Hämmerle … Psychiaterin persönlich kennt … Kacke … halben Tag vertrödelt … besser nutzen können … wir übermorgen in Osterurlaub … schon Siebensachen herrichten … Morgen wieder Frühdienst.“

Paula grollt über den Besuch bei einer Psychiaterin, die ihr Frau Hämmerle, ihre Psychotherapeutin, empfohlen hat. Diese Sprechstunde ist seit fast sechs Wochen geplant. Paula hat ihn so herbeigesehnt. Sie will unbedingt eine stationäre Therapie machen. Wir haben das längst geplant, die Organisation mit unseren (Schul)kindern und der Dorfhelferin längst durchgespielt.

Leider kriege ich von Paulas Lamento nur die Hälfte mit. Ich habe heute im Büro eine aufwändige PowerPoint-Präsentation erstellt. Meine Augen brennen von dem ewigen Gestarre auf den Bildschirm. Ich verzichte deshalb auf die abendliche Buchlektüre. Paula aber liest. Und liest. Und liest. Ich weiß, dass der Termin bei der Psychiaterin heute stattgefunden hat. Ich weiß, dass Paula darüber sprechen will. Und ich spüre, dass sie angespannt ist. Aber sie liest. Ich habe Mühe, mich wach zu halten. Aber es muss sein. „Halt dich aufrecht, Junge“, befiehlt mir der Empathiebeauftragte in meinem Kopf, „bleib‘ bei ihr; es kann sich nur noch um eine Minute handeln.“ Es werden vier, vielleicht fünf, bis Paula endlich ihr Buch weglegt und das Licht löscht. Zwischen dem bereits wilden Gebräu aus Nachtelben, Schlafgeistern und Ideen für die Optimierung der PowerPoint-Präsentation schaffe ich eben ein lallendes „Und erzähl‘ …“. Und Paula erzählt.

Als ihre Geschichte zu Ende ist, legt sie den Kopf auf meine Schulter; ich meinen Arm um sie. Ich streichle ihr Gesicht. Sofort spüre ich die Tränenspur auf ihrer Wange. Nur mit Mühe schafft es meine Lippenmotorik die Schwere des Schlafs nochmals für einen Augenblick ungelenk zu überwinden: „Ist sonst noch was?“. Paula sagt: „Ach, ich bin irgendwie so traurig heute.“

In der Nacht träume ich von unserem letzten Mallorca-Urlaub: Am Strand streunen Frauenfiguren in weißen Praxiskitteln umher. Sie fragen mich, ob ich „kaufe wolle Sonnebrill von echde gudde originale Qualitäten fur mein hubsche Frau“. Einer besonders aufdringlichen Figur zertrümmere ich in einem Schreianfall den Schädel mit der Computermaus. Das Luder stürzt zu Boden, aus der Karkasse ihres Kopfes springt ein Osterhase heraus und hoppelt im blendenden Sonnenlicht davon.

Ich fühle mich leer.


3 Kommentare:

  1. Es tut mir leid das deine Frau einen so Bescheidenen Termin hatte...
    Mir ist leider so was auch schon passiert, bin mittlerweile seit fast 2 Jahren ohne Therapeutin und meinen Psychiater sehe ich alle 8 Wochen für 10 min. "Guten Tag,wie gehts,aha, mhm, brauchen sie Medikamente, dann bis zum Nächsten mal..."
    Sie kann sich direkt an die Klinik wenden in die sie gehen möchte. Auch der Hausarzt kann eine Einweisung schreiben.
    Lasst den Kopf nicht hängen, sende euch Gute Gedanken und Taschentücher zum Tränen Trocknen.
    Ramona

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  2. Hallöchen..Ihr habt es schon nicht einfach. Es wird bestimmt bald so weit sein das sie in einer Klinik kommt und für Euch alle ein Pause drin ist. Ein Urlaub würde Euch erst recht gut tun.. Bitte passt auf Euch auf..Alles Liebe für Euch alle..

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  3. Ich bin/war ebenfalls depressiv und aus meinem Blickwinkel nehme ich wahr, das diese Situation dir ein Stück weit viel Kraft abnötigt. Das ist total normal. Ich folge seit kurzem gespannt deinen Schilderungen. Auch um mal die andere Seite kennen zu lernen. Die des Angehörigen. Es hilft mir zu reflektieren, was meine Umwelt teils so mit mir erlebt hat. Ich wünsche an dieser Stelle dir viel Kraft, deiner Frau wünsche ich ebenfalls viel Kraft, Licht und Gelassenheit und euch beiden, dass sich die Situation irgendwann für euch aufhebt, das ihr es schafft diese Erkrankung zu besiegen.
    Deine Frau kann sich in Notsituationen auch ohne Einweisung in die Notaufnahme begeben, wenn sie das Gefühl hat das sie den Schutz und die Ruhe einer Einrichtung benötigt um sich zu sortieren oder neu zu orientieren. Einfach an das nächste psych. Krankenhaus wenden und um sofortige Aufnahme bitten.
    Halt(et) durch, es gibt einen Weg da raus.

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