Dienstag, 12. März 2013

Du bist nicht allein

„Ach Scheiße Paul, was soll das jetzt wieder?“ Es geht um Sex. Paula will nicht. Paula kann nicht. Ihre Depression rezidiviert. Heftig. Seit drei Monaten. Alles Sexuelle ist ihr zuwider. Ich weiß das. Mein Schwanz weiß das nicht. Er weiß gar nichts. Er hat nicht die geringste Ahnung von Depression. So drängelt er sich zum ach-was-weiß-ich-wie-vielten-Mal zwischen Paula und mich. Hart und unerbittlich. Ohne Rücksicht auf Paulas Gesundheitszustand. Und ohne Rücksicht auf meine Vorahnung, was ich jetzt zu hören bekomme. „Weißt du, Paul“, fängt Paula an. „Herrgott noch mal, natürlich weiß ich …“, durchfährt es mich. Sofort macht mein Schwanz auf Weichei und zieht sich zurück. Macht er immer, wenn’s ernst wird. „Weißt du, Paul, ich möchte einfach nur in den Arm genommen werden“, fährt Paula fort, „du willst nur mit mir schlafen. Dich interessiert überhaupt nicht, wie es mir geht. Ich bin so alleine. So einsam. Ja, Paul ich bin einsam.“

Jede Antwort, die sinngemäß mit „Ja, aber …“ beginnt, ist jetzt sinnlos. Paula in den Arm zu nehmen, riskant. Selbst wenn sie es nicht als aufgesetzt empfinden würde, funkte sicher mein blöder Schwanz dazwischen. Paula schläft schnell ein. Menschen, die Schicht arbeiten, können immer schnell einschlafen. Ich atme flach, bewege mich nicht. Ich bin nicht da. Aber meine Gedanken sind da. Und mein Schwanz. Er fordert sein Recht. Er bekommt es. Von mir. In aller Schnelle, in der Heimlichkeit der Bettdecke. Paula schnarcht leise.

24 Stunden später liegen Paula und ich wieder nebeneinander. Jeder auf seiner Matratze, das Gräble – so heißt hier die Matratzenritze – zwischen uns. Ich habe Lust, mit Paula zu schlafen. Das letzte Mal ist vier Wochen her. Mein Schwanz würde mich bei dem Vorhaben trefflich unterstützen. Ich kenne ihn lange genug, um sein hitziges Klopfen richtig zu verstehen. Aber ich unternehme nichts. Ich hoffe nur. Auf ein Signal von Paula. Sie dreht sich zu mir um. Jede Faser meines Körpers spannt sich. Nichts. Irgendwann ein Kissenrascheln. Strom in meinem Körper. Nichts. Ein tiefes Einatmen. Nichts. Ich wühle in meinem Kissen. Absichtlich auffällig. Vielleicht jetzt? Nichts. Nichts. Nichts.

Mir fällt ein, dass wir den Computer angelassen haben. Leise stehe ich auf, mit langsamen Bewegungen einer Hand suche ich meine Brille auf dem Nachttisch, mit der anderen ziehe ich die Wolldecke vom Sessel unter dem Fenster. Auf der Treppe nach oben setze ich die Brille auf, mache einen großen Schritt über die sonst knackende fünfte Stufe. Am Bildschirm stelle ich fest, dass ich zweieinhalb Stunden auf ein Signal von Paula gewartet habe. Ich checke meine E-Mails. Natürlich hat mir mitten in der Nacht niemand mehr geschrieben. Bei Facebook ist Samara online, eine „Freundin“, die an Depressionen leidet. Wir chatten. Ihr geht es elend, weil sie Angst hat, ihr Partner könne sie verlassen. Ich frage sie, warum sie diese Angst hat. „Mir ist alles Sexuelle zuwider“, schreibt sie, "ich weiß gar nicht, wie der arme Kerl das aushält so lange ohne. Ich will ja nie mit ihm schlafen. Aber er will immer. Aber ich kann doch nichts machen, ich habe diese Depression. Es würde mich nicht wundern, wenn er sich `ne andere sucht. Ich würde es sogar verstehen. Es wäre ja nur wegen dem Sex und nicht, weil er mich nicht mehr liebt.“

Es ist 2:30 Uhr. Ich drücke die „Löschen“-Taste. Der Satz, „Vielleicht ist aber gerade Sex entscheidend für eine Liebe“ verschwindet auf Nimmerwiedersehen aus der Chatbox.

Nachdem ich um ca. 3:00 Uhr (zurück) ins Bett komme, liege ich (immer) noch ein Weilchen wach. Ich denke an Sex. Mit allen möglichen Frauen, die ich kenne. Mein Schwanz fordert sein Recht. Er bekommt es. Von mir. In aller Schnelle, in der Heimlichkeit der Bettdecke. Paula schnarcht leise.


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