Paula ist euphorisch. Sie kennt den „Lago“ seit ihren
Jugendtagen, wir selbst waren mit den Kindern schon zweimal dort. Und sie will
raus. Ich bin skeptisch. Nicht nur wegen Paulas Euphorie. Sie ist die Hüterin
der Finanzen. Ermahnt mich stets, aufs Geld zu achten. Nachdem ihrer Meinung
nach zu viel Geld ausgegeben wurde, hängt sie tagelang wortlos in einem
schwarzen Loch. Schwierig. Außerdem: Wer weiß, wie ein Urlaub während dieser ärgeren
Depressionsphase wird? Gehen wir uns alle gegenseitig auf den Zeiger? Das aber kann
auch passieren, wenn wir zuhause bleiben. Vielleicht sogar noch eher. Also auf
zum Lago Maggiore!
Auf mdr flimmert „Fakt ist …!“ zum Thema „Depression – die neue
Volkskrankheit“ über den Äther. Die Moderatorin Ines Krüger nervt. Sie quatscht
zu viel, zu laut und zu nichtssagend dazwischen. Vielleicht liegt’s daran, dass
dieser ihr letzter Auftritt in dieser Sendereihe ist. Sei’s drum, die ganze
Sendung bleibt sehr an der Oberfläche. Nichts (Neues) für Betroffene und deren
Angehörige. Ich döse mehr, als dass ich zuhöre. Als Prof. Dr. Ulrich Hegerl vom
Uniklinikum Leipzig zu Wort kommt, werde ich hellhörig. Sinngemäß gibt er zum
Besten, dass wegfahren, rausgehen, in Urlaub fahren nichts bringe. Die
Depression „reise ja mit“. Gut, vielleicht habe ich den Einstieg in diese
Diskussionssequenz verdöst. Vielleicht kriege ich zu dieser späten Stunde den
Kontext nicht mehr so recht hin. Doch der Stachel dieses Statements ist
gesetzt. Schöne Aussichten für den Lago.
Signore Francheri, der Besitzer der Ferienwohnung, ist ein
herzensguter Mann. Umwerfend sympathisch. Sehr um unser Wohl bemüht. Seine unverfälschte,
etwas unbeholfene Innigkeit ist ein toller Einstieg in die paar Tage Urlaub.
(Über das Wetter dieses Jahrhundertwinters rede ich an dieser Stelle nicht.)
Die Wohnung ist 100 % schnuckelig, liebevoll renoviert, im Grunde riesig für
vier Personen. Das Bergdorf verströmt einen mittelalterlichen Charme. Die
Kinder sind begeistert. Paula und ich ebenfalls. Alle meine Zweifel fallen in
dem Moment ab, als auch das Wohnzimmer durchgeheizt ist. Wir sind die ersten
Gäste der Saison. Sogar die ersten Gäste überhaupt in dieser Wohnung, wie sich
am Ende der Ferienwoche herausstellen wird. Wir finden einen BILLA-Supermarkt
in erreichbarer Nähe. Versorgen uns mit Prosciutto crudo, salame, formaggi,
Barolo Piemontese, crema choco spalmabile und den nötigen landestypischen
österlichen Spezereien. Wir essen ebenso landestypisch spät zu Abend. Danach
spielen wir zwei Runden „Phase 10“. (Noch haben die Kinder nicht spitz
gekriegt, wie man die deutsch(sprachig)en Fernsehprogramme einstellt.) Müde,
aber schon nach wenigen Stunden Urlaub tiefenentspannt fallen Paula und ich ins
(zugegeben landestypisch etwas zu weiche) Bett. Trotz des frühen Aufstehens um
5:30 Uhr, der langen Autofahrt, dem Wohnungsbezug, der Einkaufstour habe ich
Lust auf Paula. Und sie auf mich. Der Tag klingt perfekt aus. Für ein paar
Minuten liege ich danach noch wach und denke an Prof. Dr. Ulrich Hegerl. Wovon
hatte er gleich noch gesprochen?
Das ist mir in dem Moment – auf gut Deutsch gesagt –
scheißegal.
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