Sonntag, 17. März 2013

Gut drauf

„Am Samstag gibt’s eine Erwachsenentanzparty bei Arnaldo und Adrian. (So heißen die Inhaber einer der Tanzschulen in der Stadt.) Paula und ich werden wohl hingehen. Seid ihr dabei?“ Alle, die diese SMS bekommen, melden sich noch am selben Vormittag: Ansgar und Beate haben Besuch von Ansgars Mutter, die sich nicht zum Babysitten überreden lassen will. Sandra und Fritz gehen zu einem Gedenkgottesdienst für eine Bekannte; in Tanzlaune sind sie nicht. Ingrid fehlt der Tanzpartner: Franz-Heinrich ist auch übers Wochenende geschäftlich unterwegs. Anne und Heinz-Dieter kommen sowieso nicht: Hans Dieter hat sich vor zwei Wochen das Schlüsselbein gebrochen; „wir können rein technisch nicht“, steht neben den fünf traurigen Smileys in Annes Antwort. Claudine und Dieter finden (auch) keinen Babysitter. Ich rufe Paula an. Wir beschließen, alleine zur Party zu gehen. Aber „wir müssen uns ja nicht zwingen“, meint Paula. Ist völlig okay, dass sie sich das Hintertürchen aufhalten will, falls ihr Stimmungsbarometer am Samstag nicht auf Party steht. Wir hätten dann ja beide keinen Spaß. Trotzdem rolle ich innerlich mit den Augen. Weil ich Lust habe, auszugehen.

Am Samstag stelle ich meine Depressionsantennen auf volle Leistung. Beargwöhne jede einzelne Bewegung von Paula. Höre genau hin, wenn Paula spricht. Der kleinste Unterton soll mir auffallen. Bei der Planung für das Abendessen setze ich auf leicht(verdaulich)e Kost. Wäre nicht zum ersten Mal, dass uns nervöse Darmreaktionen einen Abend vermiesen. Das bemerkt Paula natürlich. Sie sagt aber kein Wort. Nicht ein fragender Blick streift den meinen. Das bemerke ich natürlich. Wir sind mittelmäßig angespannt, aber letztendlich – das sagen mir meine Antennen – haben wir beide Lust, auszugehen.

Wir lassen uns etwas Zeit. „Wir müssen ja nicht um Punkt Acht auf der Matte stehen“, meint Paula. Ich habe eine DVD aus der Videothek geliehen. Für die Kinder. Das ist billiger als jeder Babysitter. Und genau so effektiv. Ich lege die DVD ein und eine Tüte Erdnussflips auf den Couchtisch. Auf der Fahrt in die Stadt berichte ich Paula von dem neuen Projekt, das wir letzte Woche für die Firma an Land gezogen haben. Und darüber, dass ich in der kommenden Woche doch (noch) nicht zu diesem Neukunden fahren muss. Die Anspannung löst sich. Wir ergattern einen Parkplatz direkt vor der Tür der Tanzschule.

Das Parkett ist bestens gefüllt. Noch bevor wir uns einen Sitzplatz suchen, hole ich an der Bar eine große Flasche Wasser und ein Bierchen für mich. Als wir uns setzen, wird ein Tango Argentino gespielt. Können wir sowieso nicht. Zur folgenden Rumba fordere ich Paula auf. Die können wir ziemlich gut. Und es läuft besser: Wir kriegen alle Figuren hin. Wir schaffen auch ein paar Figuren im Jive, mit dem ich derzeit etwas auf Kriegsfuß stehe. Wir kommen richtig in Fahrt. Lassen keinen Tanz dieser Tanzrunde aus. Ziehen alle neun Tänze durch. Sogar den Wiener Walzer, den die DJane volle sechs Minuten ausspielt, um dann einen gehässigen Spruch über die Kondition der Anwesenden abzufeuern. Paula und mich kann sie unmöglich meinen. Wir lassen nur den Paso Doble aus; den können wir nämlich nicht. (Wollen wir auch nicht.) Nach einem kurzen Zug aus der Bierflasche – Paula nippt natürlich feminin am Wasserglas – nehmen wir die nächste Runde in Angriff. Langsamer Walzer, Tango, Wiener Walzer, Slow Foxtrott, Quickstep, Rumba, Chachacha, Salsa, Jive. In meinem Knochengebälk knackt es gehörig. Aber es macht mir unheimlich Spaß. So gut haben wir schon lange nicht mehr getanzt. So gut haben wir schon lange nicht mehr harmoniert. 

In einer Swingrunde (können wir auch nicht; beschließen aber „irgendwann auch mal einen Kurs zu machen“) geht Paula zur Toilette. Sie kommt zurück; ich staune. Sie hat ihre Bluse ausgezogen. Es ist mittlerweile ganz schön dampfig im Tanzsaal. In ihrem engst anliegenden schwarze Top sieht sie sehr sexy aus. Ich bilde mir ein, dass alle Kerle ihre Augen auf sie richten. Beim nächsten Langsamen Walzer sage ich ihr grinsend, dass sie dieses Top in der Öffentlichkeit nicht mehr tragen kann. Sie lacht und fragt: „Warum?“ „Ich kann“, lautet meine Antwort, „nicht zulassen, dass die anderen Männer alle neidisch werden“. Als wir aufbrechen, sind nur noch drei weitere Paar im Saal. Trotzdem gehen wir noch auf einen Cocktail in unsere Lieblingsbar. Wir sind – auf gut Deutsch – saumüde – reden nicht mehr sehr viel. Das müssen wir auch nicht. Ich sage Paula nur: Das hat mir sehr viel Spaß gemacht heute.“ „Ja, das war schön“, sagt Paula.

Für einen wunderbaren Abend lang habe ich Paulas Depression vergessen.

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