Am Samstag stelle ich meine Depressionsantennen auf volle
Leistung. Beargwöhne jede einzelne Bewegung von Paula. Höre genau hin, wenn
Paula spricht. Der kleinste Unterton soll mir auffallen. Bei der Planung für
das Abendessen setze ich auf leicht(verdaulich)e Kost. Wäre nicht zum ersten
Mal, dass uns nervöse Darmreaktionen einen Abend vermiesen. Das bemerkt Paula
natürlich. Sie sagt aber kein Wort. Nicht ein fragender Blick streift den
meinen. Das bemerke ich natürlich. Wir sind mittelmäßig angespannt, aber
letztendlich – das sagen mir meine Antennen – haben wir beide Lust, auszugehen.
Wir lassen uns etwas Zeit. „Wir müssen ja nicht um Punkt
Acht auf der Matte stehen“, meint Paula. Ich habe eine DVD aus der Videothek
geliehen. Für die Kinder. Das ist billiger als jeder Babysitter. Und genau so
effektiv. Ich lege die DVD ein und eine Tüte Erdnussflips auf den Couchtisch.
Auf der Fahrt in die Stadt berichte ich Paula von dem neuen Projekt, das wir
letzte Woche für die Firma an Land gezogen haben. Und darüber, dass ich in der kommenden
Woche doch (noch) nicht zu diesem Neukunden fahren muss. Die Anspannung löst
sich. Wir ergattern einen Parkplatz direkt vor der Tür der Tanzschule.
Das Parkett ist bestens gefüllt. Noch bevor wir uns einen
Sitzplatz suchen, hole ich an der Bar eine große Flasche Wasser und ein
Bierchen für mich. Als wir uns setzen, wird ein Tango Argentino gespielt.
Können wir sowieso nicht. Zur folgenden Rumba fordere ich Paula auf. Die können
wir ziemlich gut. Und es läuft besser: Wir kriegen alle Figuren hin. Wir
schaffen auch ein paar Figuren im Jive, mit dem ich derzeit etwas auf Kriegsfuß
stehe. Wir kommen richtig in Fahrt. Lassen keinen Tanz dieser Tanzrunde aus.
Ziehen alle neun Tänze durch. Sogar den Wiener Walzer, den die DJane volle
sechs Minuten ausspielt, um dann einen gehässigen Spruch über die Kondition der
Anwesenden abzufeuern. Paula und mich kann sie unmöglich meinen. Wir lassen nur
den Paso Doble aus; den können wir nämlich nicht. (Wollen wir auch nicht.) Nach
einem kurzen Zug aus der Bierflasche – Paula nippt natürlich feminin am
Wasserglas – nehmen wir die nächste Runde in Angriff. Langsamer Walzer, Tango,
Wiener Walzer, Slow Foxtrott, Quickstep, Rumba, Chachacha, Salsa, Jive. In
meinem Knochengebälk knackt es gehörig. Aber es macht mir unheimlich Spaß. So
gut haben wir schon lange nicht mehr getanzt. So gut haben wir schon lange
nicht mehr harmoniert.
In einer Swingrunde (können wir auch nicht; beschließen aber
„irgendwann auch mal einen Kurs zu machen“) geht Paula zur Toilette. Sie kommt
zurück; ich staune. Sie hat ihre Bluse ausgezogen. Es ist mittlerweile ganz
schön dampfig im Tanzsaal. In ihrem engst anliegenden schwarze Top sieht sie
sehr sexy aus. Ich bilde mir ein, dass alle Kerle ihre Augen auf sie richten.
Beim nächsten Langsamen Walzer sage ich ihr grinsend, dass sie dieses Top in
der Öffentlichkeit nicht mehr tragen kann. Sie lacht und fragt: „Warum?“ „Ich
kann“, lautet meine Antwort, „nicht zulassen, dass die anderen Männer alle neidisch
werden“. Als wir aufbrechen, sind nur noch drei weitere Paar im Saal. Trotzdem
gehen wir noch auf einen Cocktail in unsere Lieblingsbar. Wir sind – auf gut
Deutsch – saumüde – reden nicht mehr sehr viel. Das müssen wir auch nicht. Ich
sage Paula nur: Das hat mir sehr viel Spaß gemacht heute.“ „Ja, das war schön“,
sagt Paula.
Für einen wunderbaren Abend lang habe ich Paulas Depression
vergessen.
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