Dienstag, 5. März 2013

Niemandsland

Kühlschränke. Immer wieder Kühlschränke. Und zwar von innen. Die Kamera schaut von innen auf die Kühlschranktür. (Komischerweise ist das Licht bereits an.) Die Tür wird geöffnet. Von einem Junggesellen. Meistens. Immer aber von jemandem, der alleine lebt. Zwischen diesem entweder enttäuscht oder enerviert dreinschauenden Jemand und dem Butterfach in der Tür ist lukullisches Niemandsland: Bestenfalls eine seit Tagen angebrochene Milchpackung oder eine viertel Pizza „Cheese’n’Onions X-tra-Large“ im Karton sind am unteren Bildrand zu sehen.

In den USA gehört diese Situation wohl zum Alltag. Warum sonst sollten uns unzählige Hollywood-Filme diese stereotype Szene so häufig zeigen? Als ich noch alleine lebte, gehörte sie auch zu meinem Alltag. Ganz buchstäblich sogar. Alle Tage lukullisches Niemandsland. Das hat mir nichts ausgemacht. Hatten die Geschäfte geöffnet, habe ich auf die Schnelle etwas eingekauft. Hatten sie geschlossen, habe ich meistens den lieben Kahli angerufen. Eigentlich heißt er Sebastian Kahl; niemand nennt ihn so. Außer seiner Mutter vielleicht, wenn es etwas Ernstes zu besprechen gibt – das aber vermute ich nur. Mit Kahli kann man (auch heute noch, fast 20 Jahre später) vortrefflich unvertretbar überdimensionierte Rib-Eye-Steaks mit Pommes Frites und Kräuterbutter essen. In der Kneipe am See.

„Oder Gyros beim Griechen!“ Es ist Samstag und Paula hat Spätschicht. Ich habe heute gegen Mittag eingekauft. Lust- und phantasielos, angeekelt fast. Ein paar Nudeln, ein Pesto im Glas, die Notration eben. Der Kater nach dem Herrenabend gestern steckt mir gehörig in Knochen und Schädel. Erst jetzt am späten Nachmittag habe ich Appetit. Auf etwas Ordentliches. Im Kühlschrank nur die Notration. „Also, dann lass’ uns zum Griechen gehen“, antworte ich auf das Gejohle der Kinder.

Paula kommt kurz vor Mitternacht ins Schlafzimmer. Die ausgeprägte Souflaki-Knoblauch-Wolke, die aus meinen Poren in den Raum dringt, gibt ihr den Rest. „Was hast du denn gekocht?“, entfährt es ihr. „Nichts, wir waren beim Griechen“, antworte ich wahrheitsgemäß. Schon aus dem Flur hallt Paulas abschließendes „Boah nee“. Ich liege im Bett und übersetze: "Boah nee", das heißt erstens: Verdammt noch mal Paul, jetzt habe ich die ganze Woche akribisch auf das Haushaltsgeld geachtet. Habe keine Sperenzien gemacht beim Einkaufen und keine beim Kochen. Und jetzt kommst du, und gehst mit den Kindern einfach mal so essen. Der Herrenabend gestern war sicher auch nicht umsonst. Zweitens heißt „Boah nee“: Ich komme mir irgendwie blöde vor. Ich stelle mich hier jeden Tag an den Herd. Paul, hörst du? Jeden Tag. (Silben einzeln betont!) Und das obwohl ich keinen Abend vor 23 Uhr zuhause war. Du, Paul, kommst hier nur reinspaziert und setzt dich an den gedeckten Tisch. Ich fühle mich so wertlos. So geringgeschätzt. Ich komme mir vor wie die Hausdienerin. Und du, du Paul, du hast nichts Besseres zu tun, als mit den Kindern essen zu gehen.

Ich finde, die Kausalkette stimmt nicht. Das behalte ich für mich. Nicht etwa, weil ich einen nächtlichen Streit vermeiden will. (Oder gar eine neue Schwade „Mykonos-Platte“.) Nein, ich behalte das für mich, weil ich Paula verstehe. Jetzt in diesem Moment verstehe ich dieses knappe, verhallte „Boah nee“. Während der Woche habe ich es hingegen mal wieder nicht hingekriegt, mich in sie hineinzuversetzen. Nicht eine Spur. Ich habe es nicht geschafft, mir klar zu machen, was es für sie bedeutet, im Grunde die ganze Woche im Voraus zu planen, alle diese Termine wahrzunehmen oder gar vorzubereiten und den Haushalt zu managen. Aber ich habe es geschafft, Paulas Depression zu verdrängen, ihre Sprunghaftigkeit und ihr mangelndes Selbstwertgefühl. Glückwunsch, Idiot.

Sollte ich mal wieder an einem Wochenende Herrenabend haben, an dem Paula Spätschicht hat, gibt’s Käse-Zwiebel-Pizza mit Milch.

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