Freitag, 25. Januar 2013

Gute alte Zeiten

Paula ist zur Nachtschicht gegangen. Die Kinder sind im Bett. Ich tue etwas, was ich schon seit Jahren nicht mehr getan habe: Ich rauche eine Zigarette. Auf dem Balkon. Ganz allein.

Wow, wie lange mag das das her sein, dass ich allein zuhause eine Zigarette geraucht habe? Jahre. Mindestens fünf. Wahrscheinlich mehr. Ich weiß es nicht mehr. Es ist saukalt. Der schwere Hochnebel des Tages hat sich auf die Häuser der Nachbarn gesenkt, auf die Wiesen und Felder. Der Dorfbach plätschert vor sich hin. Eine Zeitlang sind das Plätschern und die Kälte die einzigen Geräusche. Sofern Kälte überhaupt ein Geräusch machen kann – es ist diese typische Klangkulisse einer winterlichen Landschaft. Aus dem Dunst in der oberen Kurve Richtung Hügel lösen sich zwei Scheinwerfer. Sie kommen näher. Es ist der 22:40-Uhr-Bus. Auf dem Weg in die Stadt.

Ich nehme einen Zug aus der Zigarette. Denke daran, dass ich früher jeden Freitag auch um diese Zeit auf dem Weg in die Stadt war. Habe erst die Clique getroffen. In einem Café, in dem ein paar Leute aus der Clique gearbeitet haben. Wir haben uns immer dort getroffen. Ohne Verabredung. Und es waren immer alle da. Bis zur Sperrstunde haben wir geklönt, gelacht und getrunken. Vor und hinter der Theke. Wenn die hinter der Theke Feierabend hatten, sind wir weitergezogen. In „unseren“ Club. 

Acid Jazz war gerade extrem angesagt. Wir haben uns Platten von Mother Earth aus England bestellt, Jazzmatazz gehört bis zum Umfallen, und ab und zu Pizzicato Five. In dem Club wurde Acid Jazz gespielt. Wir haben uns die Seele wechselweise aus dem Leib geschrien oder getanzt. Dazu gab es verdächtig zu helles Bier aus Halbliterkrügen. Oder Ramazotti auf Eis mit Zitrone. (Buah, würde ich heute keine zwei mehr runterkriegen von.) Und Zigaretten gab es. Eine ganze Schachtel für jeden, wenn wir gut in Form waren. Manchmal wurde es schon hell, wenn wir aus dem Schuppen rauskamen. Nicht nur im Sommer.

Ich stelle mir vor, wie es sein würde, wenn ich heute alleine wohnen würde. Mehr als eine altersschiefe Ein-Zimmer-Bude würde ich mir nicht leisten können. So eine wie die damals von Tanja, bei der ich manchmal … hüstel, hüstel … übernachtet habe, bevor ich mit Paula zusammenkam. Da gab es ein Waschbecken an der Wand im Wohnraum und eine Dusche, die improvisationsbegabte Klempner der Küche abgetrotzt hatten. Die Toilette war auf dem Flur, eine Kirche genau gegenüber. 

Ich würde ein Bett haben, dessen Rost Europaletten wären. Wahrscheinlich vier. Denn ein Doppelbett müsste selbstverständlich sein. Wenn die Kinder mal über Nacht kämen. Wenn sie nicht kämen, würde ich Radio hören. (Vielleicht sogar auch, wenn sie da wären, wer weiß?) Dabei würde ich sehr wahrscheinlich einpennen. So wie damals, als ich noch alleine wohnte. Bevor Paula und ich zusammenzogen und später verheiratet waren. 

Meine Schallplattensammlung, die CDs und die Stereoanlage würde ich in und auf Holzweinkisten unterbringen. (Die Dinger werden heutzutage für teures Geld gehandelt, früher holte man sich die einfach vom Sperrmüll.) Kleiderständer statt Kleiderschrank wäre absolut okay. Eine Kommode vielleicht für die Unterwäsche, den Kleinkram und für Zeug, das Gäste vielleicht besser nicht sehen sollten.

Der nächste Zug aus der Zigarette ist schon sehr heiß; die Kippe fast fertig geraucht. Ich erinnere mich, wie Paula einmal im Club umgekippt ist. Die Rauchschwaden und die Ramazottis waren in der Nacht zu viel für sie. Trotzdem sind wir am nächsten Freitag wieder hin. Um zu „Hicky-Burr“ von Bill Cosby & Quincy Jones zu tanzen.

Während ich die Kippe in die leere Schachtel stecke, nach unten gehe und mir noch eine Flasche Sprudel hole, will mir nicht einfallen, wann Paula und ich zum letzten Mal in einem Club waren. Wann waren wir überhaupt das letzte Mal alleine aus?

2 Kommentare:

  1. Interessant Dein Blog und die Sicht eines Mannes! Gefällt mir sehr gut! Ich selbst habe auch Depressionen und immer gedacht, es ist eben so .... Nein ist es nicht. Man kann sehr gut was tun dagegen und man kann auch noch leben, glücklich leben. Ich habe selbst 3 Kinder! Man muss sich nur trauen und was ändern wollen. Die besten Eltern sind die, die als allererstes für sich selbst sorgen!

    Ganz lieben gruss Yafe

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  2. Erfrischend anders! Mir gefällt dein Blog und die Art, wie du schreibst. Ich bin zwar selbst depressiv, bin aber ab und zu auch in der Position eines Angehörigen. Ich habe deine Seite in meinem Blog http://www.was-ist-depression.net verlinkt und wünsche dir viele neue Leser! Wenn du noch mehr Links brauchst, kannst du hier kostenlos einen setzen: http://blogverzeichnis.site90.net/

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