Mittwoch, 24. April 2013

Schöne Bescherung

Ich bin noch nicht ganz da. Gestern war ich aus. Mit ein paar Freunden. Im Irish Pub. Irisches Bier in Strömen. Blöderweise habe ich außerdem meine So-vermeide-ich-den-allerschlimmsten-Kater-Apfelschorle ausgelassen. „Na, alter Mann?“, sagt Paula. Die anschließende Umarmung ist hastig. Sie wirft sich herum und steht auf. Ich schaffe es in diesem Moment nicht, mir darüber im Klaren zu werden, was mich stört. Ein kleiner fieser Arthur Guinness hämmert im meinem Kopf herum. Ich verstehe eben noch „… Frühstück …Jungs wecken …“ bevor Paula das Schlafzimmer verlässt.

Paula kommt vom Bäcker zurück. Das Knirschen des Kieses unter den Autoreifen übertönt das irische Gehämmere. Ich stehe auf. Mein Gleichgewichtssinn ist okay. Alles gut. Die ganze Familie sitzt schon am Tisch. Kaffee und frische Brötchen duften verführerisch. Ich habe Kohldampf, packe mich auf die Eckbank und fange an zu futtern. Ich bin gut gelaunt, erzähle vom Abend zuvor. Gebe die Neuigkeiten zum Besten. Und den neuesten Tratsch. Die Kinder lachen sich kaputt, als ich berichte, eine Zwanzigjährige in dem Pub habe mich für 40 gehalten. Paula lacht nicht. Paula sagt nichts. Paula isst auch nichts. Der Kaffee in ihrer Tasse wird kalt. Kurz vor zehn Uhr geht sie mit dem Jüngsten aus dem Haus. Er muss bei einer Aufräumaktion helfen. Der Große geht nach oben. Klemmt sich hinters Smartphone. Videos glotzen. Vermutlich. Ich futtere weiter, blättere in der Zeitung, lese da und dort eine Überschrift.

Paula und der Kleine kommen zurück. Jetzt schaffe ich, mir darüber im Klaren zu werden, was mich stört: Paula hat obermiese Laune. Seit Tagen haben wir kaum ein Wort miteinander geredet. Funkstille. Sie setzt sich mir gegenüber an den Tisch. Sie starrt ihre Knie an. Oder die Brötchenreste auf dem Teller vor ihr. „Wie sieht’s aus, wollen wir heute mit den Kindern ins Kino gehen“, frage ich. Paula schlägt die Augen auf. Ebenso gut könnte Iceman seine Kräfte walten lassen. Stechend und eiskalt zischt sie mich an: „Darum musst du dich kümmern!“ Augenblicklich schäumt mein inneres Fass über – wegen oder vielleicht trotz des Guinness. „Sag’ mal, was ist eigentlich los mit dir? Wenn du schlechte Laune hast … okay. Aber ich habe weder Lust, noch es verdient, derart angekackt zu werden“, schleudere ich ihr entgegen. Zur Betonung knalle ich die Zeitung auf den Tisch. „Verdammte Hacke.“

Kreischend geht es auf der anderen Seite des Tisches weiter: „Was? Was bitte erwartest du von mir, Paul? Du ignorierst hier, was ich sage. Gehst mit deinen Kumpels einen trinken. Obwohl ich dir signalisiert hatte, dass wir in Anbetracht des Kontostandes besser vorsichtig sein sollten. Und dann lädst du Morgen auch noch die Leute vom Tanzzirkel zum Kaffeetrinken ein. Ich komme mir hier vor wie der letzte Dreck.“ Was die Lautstärke angeht, kann ich noch einen drauflegen: „Halt! Halt! Halt! Ursprünglich hatten wir darüber gesprochen, die Tanzzirkler zum Abendessen einzuladen. Das ist für mich schon die kleine Lösung.“ Das Keifen steigert sich ebenfalls. „Was löst es eigentlich in dir aus, wenn ich sage, dass wir uns Parties derzeit nicht leisten können?“ „Wir hatten aber darüber gesprochen, dass ich das mache.“, poltere ich weiter. „Darum geht es nicht …“, fährt mich Paula an. Ich springe auf, packe demonstrativ ruckartig die Sprudel- und Apfelsaftflaschen, um in die Küche zu gehen. Auf den wenigen Metern dorthin knurre ich „Worum geht es dann? Ach, scheiß' drauf. Ich habe keinen Bock auf Grundsatzdiskussionen. Nicht heute. Schluss jetzt.“ Paula kommt hinter mir her, wirft die Tür laut ins Schloss: „Du wirst aber Grundsatzdiskussionen führen müssen, wenn wir den Karren nicht komplett an die Wand fahren wollen“, gellt es in meinen Ohren.

Die nächsten anderthalb Stunden führen wir eine Grundsatzdiskussion. Lautstark und heftig. Über Respekt, Geld, und darüber, ob ich die Leute vom Tanzzirkel für den nächsten Tag wieder ausladen soll. Paula sagt „Nein.“ Ich sage: „Aber mal ehrlich, wenn das Kaffeekränzchen Morgen steigt, fühlst du dich nicht wohl, ich fühle mich nicht wohl. Und wenn ich es absage, kommen die dummen Fragen. Und damit fühlen wir uns dann wohl, ja? Tolle ‚Party’, echt.“ Paula bleibt entrüstet: „Ja super, jetzt bin ich die Spaßbremse. Ist es das, ja? Ist es das? Mann!“ Sie schickt noch ein „aber wahrscheinlich kriege ich diesen Makel“ jetzt eh’ nicht mehr los“ hinterher. Ich stehe am Fenster, sehe mir die Pfützen auf der Straße an. Ich versuche, das Dilemma in mir und das Dilemma mit Paula gedanklich zu lösen. Ich schaffe es nicht. Ich habe das Gefühl, ich müsse gleich losheulen.

Auf dem Flur treffe ich den Kleinen. Er fragt mich, „wann ich Bescherung mache“.
Ich habe heute Geburtstag.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen