„Nennt mich Ismael …“ Auf einem der dritten Programme läuft
„Moby Dick“. Den wollten die Kinder schon immer mal sehen. „Gregory
Peck, wer sonst, Papa!?“, gibt der Ältere die Besetzung des Käpt’n Ahab bekannt.
Trotz des stattlichen Alters des Films und den seinerzeit beschränkten Mitteln sind
die Kinder gebannt. Queequeg oder besser seine Tattoos sind unheimlich, die
flirrende Hitze während der Flauten ist förmlich zu spüren. „Wal in Sicht.
Backbord voraus. Wal – da bläst er!“, die Jagd auf Moby Dick erreicht ihren
Höhepunkt. Die Jungs rutschen von einer Backe auf die andere. Spannung pur. Gegen
Ende steigt das weiße Monstrum aus den Wellen. Den ertrunkenen Käpt’n Ahab mit ’zig
verworrenen Harpunenleinen an seinen geschundenen Leib gezwungen. Die Kinder
lachen sich kaputt. Zu unbeholfen kommt die Tricktechnik daher. Es ist eben
nicht „The Amazing Spiderman 2“.
In einem Depressionsforum lese ich den Artikel „Der Darm,
Spiegel der Seele“. Das Thema interessiert mich. Zum einen kenne ich die Auswirkungen
von Nervosität auf die Darmtätigkeit selbst bestens. Zum anderen steht dieses
Thema seit langem zwischen Paula und mir. Unausgesprochen. Vor Jahren stellt
Paula ihre (und damit auch unser aller) Ernährung um, um für ihre
Laufwettbewerbe fitter zu werden. Seither sind Flatulenzen, Stuhlattacken und
„ewige Sitzungen“ alltäglich. Alltag wird das für mich allerdings nie. Irgendwann
nervt das Gepupe nur noch. Es passiert immer, immer, immer … beim Nähen, beim
Putzen, während der Gartenarbeit, beim Kochen. Der – sorry, ich werde zynisch –
abendliche Begrüßungswind, den Paula mit ins Schlafzimmer bringt, ist ein
universeller Stimmungskiller.
Heute spreche ich Paula auf das Thema an. Es hat lange genug
gedauert, bis ich das wage. „Ach ja?“ – die vorwurfsvoll spitz vorgetragene
Replik von Paula tut weh in den Ohren. „Du bist ja auch der absolute Spezialist
für Ernährungsfragen.“ Der folgende Exkurs in mein Ess-, Nasch- und
Trinkverhalten ist gleichermaßen erwartungsgemäß wie umfassend. Hätte ich nur
nichts gesagt. Scheiße. Paula zischt weiter: „Wer hat denn hier medizinische
Bildung, mein Lieber? Ich weiß ja wohl sehr gut Bescheid über
ernährungsphysiologische Dinge. Du kannst ja nicht mal Kohlehydrate von Kilojoule
unterscheiden.“ Ob das stimmt, lasse ich unkommentiert. „Ich esse einfach mehr
Ballaststoffe als du“, fährt Paula fort. Jow, Ballaststoffe, denke ich, Ballaststoffe
sollten in diesem Zusammenhang besser „Belast“stoffe heißen.
Nun kommt der Gesprächsteil, der sehr oft kommt: Paula geht
dazu über, Grundsätzliches unserer Beziehung zu thematisieren: „Kann es sein,
Paul, dass du das alles mal wieder durch deine Ego-Brille siehst?“ Direkte
namentliche Ansprache plus die Kombination von „alles“, „mal wieder“ und
„Ego-Brille“ – mir kommt die Galle hoch. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen,
die ich mit mir selbst und Paula gemacht habe, gibt es jetzt drei
Möglichkeiten:
1. Ich antworte: „Was heißt hier ‚Ego-Brille‘, ich denke,
die Jungs stören deine Verdauungsprobleme auch.“ Dann würden Paula und ich end-
und ergebnislos über diese Spekulation diskutieren. Und darüber ob es
tatsächlich „Probleme“ gibt.
2. Ich frage Paula, ob sie nicht mal bei der Sache bleiben
könne. Ihre Antwort, „das gehört für mich zur Sache“ wäre eine bewährte Killerphrase.
3. Ich sage nichts mehr. Paula würde sauer werden. Aber das
ist sie sowieso schon. Und ich werde in Zukunft meinen Mund halten, das Thema
abhaken, vielleicht sogar verdrängen und mich mit der Situation abfinden.
Genauso wie ich mit damit abgefunden habe, dass wir kaum noch zusammen ausgehen,
seit der Tanzzirkel auseinandergefallen ist. Dass wir uns beim Essen oder bei
Gesprächen kaum noch ansehen oder uns über Erziehungsfragen selten einig sind …
Ich entscheide mich für 3.
Wir sitzen alle Vier beim Abendessen. Knatternd entbläht
sich Paula. Sie quetscht ein „‘tschuldigung“ heraus. Die Jungs schauen sich an
und lachen albern los.
„Der Wal – da bläst er“, johlen sie im Chor.
Aufgegeben...????
AntwortenLöschenAuch ich würde mich SEHR über eine Fortsetzung freuen :-)
AntwortenLöschenliebe Grüsse
Sonja
ich würde mich freuen wenn es hier weiter geht! ;)
AntwortenLöschenglg, elsa
Lieber Paul,
AntwortenLöschenwie schade, dass dies dein (momentan) letzter Post ist! Fast ein Jahr ist mittlerweile vergangen und ich würde sehr gerne wissen, wie es dir und deiner Family mittlerweile geht. Deine Texte sind so schön zum lachen und weinen und haben mir deutlich gemacht, dass ich meine Gedanken zu den Problemen von Depressiven und Nicht-Depressiven veröffentlichen MUSS ;) (Blog ist in Arbeit).
Herzliche Grüße von einer mehr als Betroffenen!