Sonntag, 28. Juli 2013

Inhouse Management

Unruhiger Schlaf, das Bettzeug klebt: dampfende Schwüle in dieser Nacht. Die Strahlen der Morgensonne knallen durchs offene Fenster. Ich wälze mich hin und her, warte auf das Klingeln des Weckers. Obwohl ich später aufstehen könnte. Paula hat Frühdienst. Das penetrante Biip biip biip kommt. Und wirkt wie eine Erlösung. Paula lässt die Jalousie herunter, das grelle Licht bleibt draußen, aber die Temperatur steigt. Noch bevor ich das müsste, stehe ich auf. Wortlos und dumpf packe ich mich an den Frühstückstisch, schaffe es, mir einen Kaffee einzugießen, muss dann aber erst einmal den Kopf auf meine Hände stützen und mich sammeln. Leichter gesagt als getan. Paula schwirrt wie irre herum. Aus der Küche zum Esstisch. Mit den Vesperdosen für die Kinder. Dann wieder zurück. Mit dem … knister, knister, knister … Butterbrotpapier. Wieder an den Kühlschrank: Klapper, klapper, klapper mit den Gläsern und Dosen. Schwirr, schwirr, schwirr … hin und her, her und hin. Meine Finger krallen sich in meine morgendliche sommernachtsgetränkte Restfrisur. Ich lasse Zucker in den Kaffee rieseln, rühre um, ohne den Tassenrand mit dem Löffel zu berühren. Nur dieses Klingeling vermeiden! Paula sirrt wieder heran … klick, klack, klack … der Toaster! Ich kralle mich tiefer in meine Haare. Starre auf den Tisch, versuche in der Holzmaserung irgendwelche Figuren zu erkennen.

„Ach du Scheiße“, sagt Paula. Jetzt starre ich Paula an. Vermutlich glotze wie ein Huhn, wenn es donnert. „Ach du Scheiße, jetzt habe ich den Großen vergessen zu fragen, ob er noch Restgeld von gestern übrig hat“. Bei dem Huhn donnert es erneut. Ich lasse mich nach hinten an die Lehne fallen, werfe Paula einen Blick zu. Ein ratloses „Hä?“ hämmert mir an die Pia mater; aus meinem Mund kommt – unbewusst: „Wieso musst du ihn das f…“ Für einen Moment hört das Herumgeschwirre auf. Zumindest in meinem Kopf. Dann sagt Paula: „Kannst du ihn bitte fragen, ob er noch Geld übrig hat und wie viel. Kannst du dann bitte auf 14 Euro aufstocken. Die braucht er für den Ausflug am Donnerstag.“ Ich knurre ein verständnisvolles „Ja klar“, sofern sich ein Knurren eignet, Verständnis zu vermitteln.

Ich sehe zur Uhr. 6:20 Uhr. Um die Zeit klingelt normalerweise der Wecker für mich. Ich schaffe es, nach der Tasse Kaffee zu greifen und einen Schluck daraus zu nehmen. Paula rauscht ins Bad, Zähne putzen. Auf dem Weg zurück nach unten weckt sie den Großen. Sein alltägliches missmutiges Knurren bringt den Tag zurück zur Normalität.

Ich denke an Katja, eine Bekannte, die selbst von Depression betroffen ist. Sie hat mir neulich bestätigt: „Sie muss loslassen. Paula muss lernen, dass sie nicht alles machen bzw. schaffen muss. Auch wenn sie glaubt, dass ihre Reputation dadurch sinken würde. Das ist doch alles zu viel.“

Als der Kaffee anfängt zu wirken, dämmert mir, dass ich heute für das Abendessen zuständig bin. Selbstverständlich weil Paula Frühdienst hat. Und weil wir diese Aufteilung der Pflichten im Haushalt jetzt endlich konsequent umsetzen müssen: Für Oktober hat Paula die Zusage für die 75-%-Stelle bekommen. Das sind ungefähr fünf Dienste im Monat mehr als bisher. Heute also das Abendessen. Ich reiße mich nicht darum, aber so ist das nun mal mit den Pflichten. Fertig. 

Die Kinder sind zur Schule unterwegs; ich nehme ich ein kühles Duschbad, ziehe mich an und radle zum Supermarkt um die Ecke. Wie besprochen wird es heute Abend Vesper geben. Ich packe in die Baumwolltasche, worauf ich Lust habe. Alten Gouda, ein Stück Blauschimmelkäse, Wienerle für die Kinder, Salat, Tomaten – ach ja, ein Glas Saure Gurken. An der Wursttheke lasse ich mir noch ein Stück Schwarzwälder Speck geben. Zuhause packe ich das Zeug in den Kühlschrank, räume schnell die Küche auf, bevor ich ins Büro aufbreche. Der Tag verläuft – genau! – normal. Business as usual. Gegen 18:30 Uhr schwinge ich mich aufs Rad und fahre nach Hause. Auf dem Weg überlege ich mir, dass ich eigentlich ein paar feiste Rühreier machen könnte – mit dem Speck und ein paar Kräutern. Das mögen vor allem die Jungs. Okay also. Gebongt.

Als ich nach Hause komme, steht Paula in der Küche, schnippelt gerade die Tomaten. Die Salatblätter schwimmen schon im Wasser. Ich rausche an die Arbeitsplatte und zische: „Ich mach‘ das.“ Paula sieht mich an und fragt: „Wieso bist du denn schon wieder so sauer?“

Eine Antwort darauf bekommt sie nicht.


1 Kommentar:

  1. http://m.welt.de/article.do?id=gesundheit%252Fpsychologie%252Farticle118549074%252FDepression-stellt-Partnerschaft-auf-harte-Probe

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