Freitag, 12. Juli 2013

Unterschied - ja oder nein?

„Es geht nur um dich. Immer, immer, immer nur um dich, Paul! Ich habe zu funktionieren: Waschen, putzen, einkaufen, kochen, ficken. Stets wann und wie es dem Herrn belieben. Was ich will, interessiert dich nicht. Nein, statt vielleicht mal den Rasen zu mähen, musst du zum Einkaufen in die Stadt fahren. Die Sachen hättest du auch im Supermarkt hier um die Ecke bekommen. Und dann klemmst du dich hinter die Zeitung. Ob die Hausaufgaben erledigt sind, scheint dich ja nicht zu interessieren. Da kann ich mich dann auch noch drum kümmern. Und du bist ja auch nicht da, wenn diese Tante von der Bank anruft, um uns wieder irgendwas aufzuschwätzen. Du hängst ja lieber bis um halb sieben im Büro rum. Du kriegst nicht mit, dass Frau Zander will, dass wir die alten Blumenkästen an der Loggia runternehmen. Weil sie mal wieder Panik schiebt, die Dinger könnten abstürzen. Wer hat’s wieder mal gemacht? Ich, verstehst du – ich! Ich, ich ich. Die Englischlehrerin nervt auch ständig, weil der Kleine so einen Leistungsabfall hat. Ich hab’s so satt. Nicht ein einziges Mal hast du gefragt, was bei der Personalversammlung rauskam. Ob das mit der Autowerkstatt geklappt hat. Meine Mutter ist dir ja eh seit Monaten egal. Kein Wort darüber, wie es mir vielleicht geht. Wie ich mich fühle. Du weißt nicht mal, dass ich einen Termin bei der neuen Psychotherapeutin hatte. Geschweige denn, was dabei rauskam. Aber klar – du gehst ja lieber mit deinem Kumpel in die Kneipe. Es geht echt nur noch um dich.“

„Ja Paula, ja: Es geht nur um mich. Jedenfalls im Moment. Was denkst du eigentlich, was gerade in mir abgeht? Sicher, sicher, es ist nicht Depression. Trotzdem muss ich mein Leben irgendwie neu sortieren, liebgewonnene Gewohnheiten aufgeben, den Alltag außerhalb dieses Hauses anders organisieren. Und das für den Rest meines Lebens. Ohne Ausnahme. Das muss alles erst mal richtig in meinem Kopf ankommen. Verstehst du das? Weißt du, was mich momentan am meisten nervt: Du sitzt hier und jammerst mir einen vor. Du forderst von mir Verständnis, Rücksichtnahme und Empathie – oh, Mann, ich kann es echt nicht mehr hören. Aber du, was bringst du? Was gibst du mir? Was hast du gerade für mich übrig? Ich habe mich kein einziges Mal beklagt seither. Weil es ist, wie es ist. Punkt. Ich habe es mir nicht ausgesucht. Und ich kann es nicht ändern ... halt, halt, halt … lass‘ mich ausreden! Du hast dir deine Depression auch nicht ausgesucht – das weiß ich. Ändern kann man gegenwärtig daran auch nichts. Aber du wirst ja wohl einsehen, dass du von mir genau das forderst, was du mir nicht gibst. Sorry, geben kannst.

So, mehr will ich jetzt nicht dazu sagen. Die blöden Blumenkästen kann die alte Zander beim nächsten Mal übrigens selbst abhängen. Sind schließlich ihre. Mann, Mann, Mann.“

Es ist Sonntagmorgen. Wir sind noch nicht einmal aufgestanden. Vor sechs Wochen habe ich die Diagnose Zöliakie bekommen.

1 Kommentar:

  1. Lieber Paul,
    ich habe deinen Post entdeckt, weil ich wach war. Ja mitten in der Nacht. Das kennst du von Paula. Ich kann dich so gut verstehen. Ich kann Paula so gut verstehen. Wenn ihr füreinander seid, dann übersteht ihr das egal wie es sich anfühlt. Nach dem Regen kommt nämlich Sonne. Und auch wenn der Post schon etwas älter ist garantiere ich dir, dieses Gefühl was du beschreibst wird wieder kommen. Verliere deinen Mut nicht.

    Ich schreibe dir einen Tagebucheintrag für meinen Mann. An einem Tag an dem ich ihn dafür anmachen wollte, dass er nur an sich denkt. Ich wusste ganz genau, dass ich wütend auf mich selbst war. Sei wütend das tut gut. Sei wütend auf sie, sei wütend auf dich,sei wütend auf die Depression.Ist egal auf was oder wen lass es einfach raus.




    Es ist nach Mitternacht und ich kann nicht schlafen. Ich bin neben dir auf dem Sofa eingeschlafen und als du mich geweckt hast um mich ins Bett zu tragen, war ich für einen Moment erfüllt. Habe kurz vergessen, dass ich so müde und kraftlos bin. Es hat sich für wenige Minuten angefühlt als sei alles gut.Es sind die Moment in denen der Grauschleier kurz Abscheid nimmt und ich sehe wie besorgt und hilflos du bist. Du reichst mir liebevoll die Hand und ich denke für einen kurzen Moment alles sei in Ordnung. Wenn ich nicht mehr ganz so schlaftrunken bin und du neben mir einschläfst während mein Mechanismus gerade entschieden hat nicht mehr schlafen zu wollen kommen die Gedanken zurück. Es ist wie ein Chor der in meinem Kopf singt. Wie eine Filmmusik, die im Hintergrund läuft. Dann liegst du neben mir und ich höre deinen Atmen, du siehst einmal unbesorgt aus. Friedlich zufrieden. Und dann sehne ich mich so sehr nach dir, als seist du gar nicht wirklich hier. Obwohl du jede Nacht neben mir im Bett liegst. Ich empfinde eine riesige Belastung und großen Druck. Ja das Leben ist nicht einfach und ja gerade ist es besonders schwer. Es gibt viele Veränderungen. Und rational weiß ich: Es geht immer weiter, es gibt für jedes Problem eine Lösung. ALLE DINGE KÖNNEN ÜBERWUNDEN WERDEN, ICH KANN ALLES SCHAFFEN, ICH BIN GUT SO WIE ICH BIN....WIR SCHAFFEN ES GEMEINSAM. Egal wie oft ich es mir sage, es wiederhole, mir sogar laut in den Spiegel vorsage. Ich glaube es nicht. Ich sehne mich nach meinem fröhlichen Selbst, nach einem einzigen Morgen an dem ich dich ehrlich anlachen kann und deine Augen wieder funkeln. Tage an denen wir zusammen lachen, tanzen und alles so unbeschwert ist. Ich fühle mich unmündig, kann mich selbst nicht mehr leiden. Vor allem weil ich doch weiß wie sehr es dich belastet. Das Gefühl sogar uns zu zerstören frisst mich auf. Und das schlimmste ist ich habe den Eindruck ich kann es nicht mehr anhalten. Ich sage laut STOP aber es hört nicht mehr auf. Und du liegst da und bist geduldig. Nimmst mich in den Arm und tröstest mich. Spricht jeden Tag immer wieder gut auf mich ein. Und das, obwohl du gerade selbst in einer schwierigen Phase bist. Du bist so stark für mich. Und meine Selbstvorwürfe werden von Tag zu Tag immer immer größer. Ich kann dir nicht mehr gerecht werden. Ich sehne mich nach dir. Ich sehne mich nach uns. Ich sehne mich nach mir selbst. An diesen Tagen wünschte ich du wärst nicht hier. Könntest glücklich ohne mich sein. Du sollst wieder glücklich sein. An diesen Tagen fehlst du mir am aller meisten.

    Halte durch. Lieber Paul. Halte durch. Liebe Paula. Es kommt Sonne.


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