Sonntag, 14. Juli 2013

The Brandy Effect

Vergleiche die laufende Nummer des Originals, den Verfasser, die Angaben zur Publikation und die Seitenzahl mit den Angaben im neuen Kompendium und ordne alles der neuen laufenden Nummer in eben diesem Kompendium zu. Das ist die Aufgabenstellung, der ich mich zwischen 9:00 Uhr und 16:00 Uhr mit zwei Kolleginnen widme. Zu dritt gleichen wir Zahl um Zahl, Namen um Namen, eine verschwurbelte Abkürzung nach der anderen ab. Am Ende haben wir es zwar geschafft, aber die Augen brennen. Die Konzentration ist ebenso verdampft wie die gute Laune. Es ist Samstag. Der Höhepunkt der Arbeit für ein Projekt, das am Montag, 12:00 Uhr, online gehen muss. Noch 48 Stunden. Die Programmierer müssen eine, vielleicht zwei Nachtschichten einlegen. Schon wieder. Dieses Projekt schafft alle. Ich leite dieses Projekt. So bin auch ich geschafft. So sehr, dass ich kaum noch etwas sage – zu niemandem. So sehr, dass ich das Gefühl habe, ich morphte wie eine Amöbe im Wasser umher – ohne auch nur einen einzigen Zentimeter vom Fleck zu kommen. Ich denke über eine Druckbetankung nach. Mit einem guten gereiften Brandy vielleicht?

Die Nacht ist schwül. Unangenehm. Ich wälze mich lange hin und her. Meine Gedanken ebenfalls. Irgendwann blende ich das Projekt aus und denke an Paula, die friedlich neben mir schläft. Kuscheln wäre jetzt schön. Ich schlüpfe unter ihre Decke. Ich fange an, sie zu streicheln. Mehr als kuscheln wäre noch schöner (eine dieser vermutlich „typisch männlichen“ Abreagier-Reaktionen). Das merkt Paula, legt ihre Hand auf meine, lenkt sie sanft dorthin, wo sie sie am liebsten spürt. Für zwei ist es unter der Decke definitiv zu warm. Das merken wir beide. Das Projekt schlägt wieder durch, ich falle in die Amöbenhaftigkeit zurück und in eine unruhig dampfende Dämmerung. Ich verliere das Zeitgefühl. Als ich wieder wach werde, streichelt Paula mich. Ihr Arm klebt ganz buchstäblich über meiner Hüfte. Ihre Bewegungen stottern auf meiner Haut wie ein Radiergummi, das man aufgerichtet über ein Papier schiebt. Paula will; ich will. Irgendwie. Der Wecker schrillt. Wir sind beide genervt. Von der Hitze. Vom Projekt. Ich bin unausgeschlafen, der Arbeitstag dauert wieder zwölf Stunden. Nach dem Abendessen denke ich an den Brandy.

Paulas Wollen bleibt, mein Wollen bleibt. Es liegt in der Luft, die heute sehr angenehm frisch ist. Vor allem jetzt, da die Sonne untergangen ist. Paula hat Chorprobe. Die Kinder schlafen. Seit einer Stunde schon. Paula kommt und kommt nicht nach Hause. Ich verziehe mich ins Bett. Schalte das Radio ein. Das Gedudel und Gelabere geht mir auf den Geist. Ich schalte ab. Sowohl das Radio, als auch mich selbst. Plötzlich werde ich wach. Paula hat mir die Decke weggezogen. Jetzt schiebt, nein zerrt, sie mir das T-Shirt über den Kopf. Im nächsten Moment ist mein Slip fällig. Liege ich eben noch auf der Seite, zwingt mich Paula jetzt auf den Rücken. Sie legt sich quer über mich, fixiert meine Hüfte. Mit sehr harter Hand geht sie zur Sache. Ich reagiere ebenso hart. Paulas Lippen sind weich und heiß. Das Testosteron donnert durch meinen Körper wie die Feuerwalze durch die U-Bahnröhre im Actionfilm. Nur, dass am Ende nicht Will Smith, Denzel Washington oder Bruce Willis herausgeschleudert werden …

Paula lässt sich neben mich fallen, die harte Hand immer noch im Zentrum des Geschehens, ihre Lippen ganz nah an meinem Ohr. „Jetzt will ich deine Lippen spüren“, flüstert sie leise aber fordernd. 

Ihr Atem säuselt herüber. Er riecht nach mir. Und stärker noch – ich kenne Paula! – nach Campari Orange.


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