Die vergleicht Paula mit ihren Dienstplänen im
Taschenkalender. Bingo! Bauchweh, Knie-Aua oder sonstige objektiv nicht
nachprüfbaren Bedarfs- und Spontan-Krankheitsbilder treten auf, wenn Paula übers
Wochenende Nachtschicht hat. Der Lütte will die Mama mal einen halben Tag für
sich alleine haben. Und sei es nur, um neben ihr zu dösen, während sie sich
nach der Schicht ausschläft. Das passt alles zusammen. Der Kleine ist sehr
auf Paula fixiert. Und Paula auf ihn – er ist das Nesthäkchen. Es fällt uns
beiden schwer, loszulassen, als er in den Kindergarten und später in
die Schule kommt. (Beim Start in die Realschule sind wir dann schon eher stolz,
denn ängstlich.)
Heute wollen – vielleicht auch müssen – wir den Kindern
sagen, dass Paula in „Kur“ (auf diesen Begriff haben wir uns verständigt) gehen wird. Wir sind früh wach; Paula ist nervös: Hibbelig wälzt sie sich im
Bett herum. Ich lasse ein fragendes „Hmmh“ verlauten. „Boah nee“, sagt Paula, „das
wird mir der Kleine so was von übel nehmen.“ Mein Hinweis auf das
fortgeschrittene Lebensalter des Juniors dämpft Paulas Angst nicht. „Mit gnadenloser
Verachtung strafen wird er mich. Und kein Wort mehr mit mir reden“. Das
ist, zumindest für ein paar Tage, nicht unwahrscheinlich. Der Junge kann ein vortrefflicher Brettschädel sein.
„Wir müssen deine Therapie halt so erklären, dass er – dass beide Kinder –
begreifen, dass das für uns alle eine Chance ist“. Ich bin nicht sicher, ob ich
selbst an diesen Satz glaube.
Gegen Ende des Frühstücks starren Paula und ich auf unsere
Teller. Ich zähle langsam bis Zehntausend, dann sehe ich Paula an. Die Tränen
stehen bereits auf ihren Unterlidern. „Leute“, sage ich mit angestrengt fester
Stimme, „wir müssen was mit euch besprechen." Die Jungs befürchten wohl neue Haushaltsaufgaben
und reagieren entsprechend pubertär enerviert. Paula kriegt es irgendwie hin,
dass ihre Stimme nicht zittert, als sie schildert, was in vierzehn Tagen auf
uns alle zukommt. Kaum ist das „ … für fünf Wochen weg“ verhallt, fangen
beide Jungs an, hemmungslos zu weinen. Der Kleine schlüpft auf Paulas Schoß,
klammert sich um ihren Hals. Bei Paula brechen alle Dämme; ich beiße mir
gewaltig auf die Zunge.
Am Nachmittag spielen wir Scrabble und ein paar Runden Uno.
Trotzdem fühlt sich der Rest dieses Sonntags an wie einer in der überheizten
Atmosphäre eines Krankenhauszimmers.
Am nächsten Morgen ist der Kleine krank: „irgendwie Bauchweh“.
Natürlich ist heute Montag.
Hallo Paul!
AntwortenLöschenIch bin vorgestern zufällig auf deinem Blog gelandet. Finde es sehr hilfreich zu lesen, wie es dir ergeht. Weil ich eben selber depressiv bin und mein Mann damit zu kämpfen hat. Vielleicht kann ich ihn durch deine Posts besser verstehen und seine Seite mehr nachvollziehen.
Wie geht es dir und deiner Familie zur Zeit. Dein letzter Post ist ja schon ein bisschen her.
Alles Gute
Ich war letztes Jahr auch in einer psychosomatischen Klinik, für sieben Wochen, wegen Depressionen und Burnout. Wir haben uns auch große Sorgen gemacht, wie unsere drei Kinder das verkraften würden, denn um schneller einen Platz zu bekommen, bin ich sogar über Weihnachten und Silvester weg gewesen, sehr weit weg von zu Hause. Die Krankenkasse hat Haushaltshilfe bezahlt (die Kinder sind 4, 11 und 16 gewesen) und letztlich hat mein Mann es mit dieser Unterstützung gut hinbekommen. Für mich war der Klinikaufenthalt eine Riesenchance und ein Geschenk. Ich habe viele neue Erfahrungen mit mir und anderen gemacht und Kontakte zu anderen Patienten geknüpft, die mir im Alltag eine große Stütze sind. Ich mache immer noch Therapie und wir machen auch Paartherapie, aber es ist vieles in Bewegung gekommen und ich konnte viel tiefer in meine Themen einsteigen, als es bei einer ambulanten ´Behandlung möglich ist. Ich hoffe, dass es bei euch ähnlich sein wird und wünsche euch alles Gute! Ihr macht das toll und es ist schön zu lesen, wie du deiner Frau zur Seite stehst!
AntwortenLöschenhab soeben dieses blog entdeckt. ich bin auch depressionspatientin und traue mich u.a. wegen der erkrankung kaum mehr, eine beziehung zu führen. auch kinder würde ich nicht bekommen, selbst wenn ich mir welche wünschte - aus angst, ein hohes depressionsrisiko zu vererben. ich bin sehr angetan, dass sie beide diese herausforderung nehmen und jetzt eine solche entscheidung getroffen haben.
AntwortenLöschenich selbst habe auch schon so manches mal an eine richtige stationäre threapie gedacht, aber das würde bei mir zum jobverlust führen (kleinstunternehmen). daher geht das nicht. ich bin aber sehr gespannt, wie ihre frau den aufenthalt empfindet und wie es ihr nachher geht. ich wünsche ihnen allen von herzen alles gute!