Die Pizza sieht sehr lecker aus. Es gibt zwei Sorten: eine mit Ziegenkäse, Oliven und Schinken, die andere mit Salami, Tomaten und „normalem“
Käse. Ich nehme die mit Ziegenkäse. Der Junge gießt sich Multivitaminsaft in
ein Weizenbierglas bis es halb voll ist. Den Rest füllt er mit Mineralwasser
auf. Ich angle mir die Salatschüssel, mische nochmal durch. Dann … Dann
passiert etwas, das sich anhört und aussieht, als hätte jemand Annie Wilkes
(Kathy Bates in dem Film „Misery“) erst unter Drogen und dann unter Strom
gesetzt:
Paula kreischt, schreit, brüllt, springt auf, hopst auf und ab. Ich
erstarre, Salat und Besteck fallen mir aus der Hand, ich stiere erschrocken und
fassungslos in die Szenerie. Ein halber Liter Multivitaminsaftschorle hat
sich über die Tischkante auf Paulas Hose und Stuhl, über den Sisalteppich und
über ca. zwei Quadratmeter des Parketts ergossen. Paulas Stimme überschlägt
sich, kippt ins Hysterische. Der Junge weint. Ich reiße mir das schweißgetränkte
Handtuch vom Nacken, schleudere es Paula entgegen und brülle: „Jetzt mal
halblang, es ist nur Saft!“ Paula jault jetzt eher, als das sie artikuliert.
Ich tippe auf einen kurzen heftigen Exkurs über Karotin, das man nicht mehr aus
dem Teppich bekäme. Den Rest verstehe ich nicht mehr. Paula hat sich zu Boden
gestürzt und rubbelt wie wild auf dem Saftfleck herum. „Mann, Mann, Mann“,
stoße ich hervor. Das versteht Paula (mit Recht?) als Verbalattacke gegen sich.
Sie knallt das nun zusätzlich mit Saft versaute Handtuch auf den Boden, rennt
nach oben. „Verdammte Scheiße, wie oft habe ich euch Kindern gesagt, ihr sollt
die Gläser oberhalb der Teller hinstellen und nicht rechts oder links davon?“,
plärrt sie dem Jungen von halber Treppenhöhe aus entgegen. Der schluchzt nur
noch. Paula ballert weiter: „Ich will auch mal einen Abend entspannt zuhause verbringen. Ich will auch mal nicht einkaufen müssen nach dem Dienst. Ich will mich
auch einmal nur an den gedeckten Tisch setzen. Ich hätte auch gerne mal um
sieben Uhr gegessen!“
Ich spüre, dass ich jetzt gleich explodiere. Das wäre normal.
Wie dieser Donnerstag eben. Aber ich weiß, wie es um Paula steht. Vor allem,
wenn sie mehrere Tage hintereinander Dienst hatte. Ich kralle meine Hände in
das Sitzkissen, sehe nach unten, hole tief Luft. In mir kocht es. „Was hat das
eine mit dem anderen zu tun?“ Ich stelle diese Frage nicht. Ich denke sie nur.
Stattdessen kacke ich den Jungen an – er könne sich ja auch mal ein einziges
Wort der Entschuldigung aus seinem Sturschädel quälen. Weinend rennt er an
Paula vorbei nach oben, knallt seine Zimmertür zu und schließt ab. Paula zieht sich weiter
vor sich hin fluchend um.
Ich habe keine Lust auf Salat. Und die Pizza schmeckt auch nicht mehr.
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