Paula kommt nach Hause. Ihre Laune ist angesichts der Vorkommnisse der letzten Wochen recht passabel. Sie kocht; ich decke den Tisch. Schon das fühlt sich komisch an. Sonst machen das die Kinder. Während des Essens sitzen wir uns alleine gegenüber. Noch komischer. Wir sprechen über die heutige Zahnoperation von Paulas pflegebedürftiger Mutter und darüber, dass wohl alles gut gegangen ist. Ein bisschen lästern wir dann über den Fußballabend unserer Kinder mit Opa. Unüblich spät sind wir mit dem Abendessen zu Ende. Das Fernsehhauptprogramm hat längst begonnen. Von den ungeöffneten DVDs nehmen wir „Biutiful“ mit dem wieder einmal unvergleichlich grandiosen Javier Bardem. Wir kennen den Film nicht:
Uxbal, ein kleiner Ganove, versucht mehr schlecht als recht,
sich und seine beiden Kinder im Sumpf von Barcelonas Halbwelt über Wasser zu
halten. Seine Frau Marambra ist manisch depressiv. So sehr sich Uxbal auch
anstrengt, eine zumindest akzeptable Zukunft aufzubauen, das Leben jagt ihn von
einer Katastrophe in die nächste: Der Straßenhändlerring, von dem er
Provisionen kassiert, wird zerschlagen, die chinesischen Billigarbeiter, die er
an Bauunternehmer vermittelt, sterben allesamt bei einem von ihm verschuldeten
Unfall. Und: Er ist unheilbar krank – „mit gezielten Chemotherapien können wir
ihren jetzigen Zustand einige Monate stabil halten“ sagt der schmierige Arzt. Von
Minute zu Minute werden Paula und ich stiller. Zu viele Parallelen zu unserem eigenen
Leben: Zwei Kinder, Kohle knapp, Depression, die Katastrophen des Alltags, die
uns immer wieder zurückwerfen. Prostatakrebs im Endstadium habe ich zwar nicht,
aber Morgen einen Termin zur Darmspiegelung – Verdacht auf
Glutenunverträglichkeit. Von Minute zu Minute schwindet auch meine Hoffnung auf
körperliche Nähe zu Paula … 32, 33, 34 …
Die Kinder kommen heim und wir gehen alle – jeder auf seine
Art – ziemlich erschossen ins Bett. Paula und ich liegen nebeneinander, ich
lege meine Hand auf ihre Hüfte. Keine Reaktion. Das kenne ich schon. Aber gut,
den Morgen danach gibt es ja auch noch; ist ohnehin Paulas liebste Kuschelzeit.
Ich schlafe ein aber unruhig weiter: zu viel erotisches Kopfkino. Mitten in der
Nacht bin ich hellwach. Paula auch. Das spüre ich. Ich schiebe meine Hand unter
ihr Shirt, beginne sie zu streicheln. Zärtlich. Aber bestimmt. Ich möchte am
liebsten mit ihr schlafen. Ich denke, sie merkt das. Blödsinn! Natürlich merkt
sie das: Ich bin ziemlich erregt und liege auf Tuchfühlung an ihr. Meine
Hoffnung wächst … 31, 1, 2 … Irgendwann drehe ich mich auf den Rücken. Paula
bleibt, ebenfalls auf dem Rücken, liegen. Eine gefühlte Ewigkeit passiert gar nichts.
Dann nestelt sie unbeholfen an meinem Handgelenk herum. Mehr nicht. Ich bin genervt; meine Erregung weicht einem leichten Harndrang. Ich gehe ins
Bad. Als ich wiederkomme, lege ich mich mit dem Rücken zu Paula, schiebe mich
aber zur Löffelchenkuschelstellung an sie heran. Das Genestel setzt wieder ein.
Passt genau überhaupt nicht zu meinem Kopfkino. Ich hole tief Luft, ziehe das
Kissen näher an mich ran.
„Bist du jetzt sauer, oder was?“ fragt Paula in diesem
enttäuscht-spitzfindigen Ton. Mein Ton ist enttäuscht-zittrig: „Ach, es ist mal
wieder eine Frage von unterschiedlichen Erwartungen.“ Das versteht Paula nicht.
Ich wiegle zermürbt ab: „Hat eh keinen Sinn, drüber zu sprechen.“ Paula fragt,
was sie mit dieser „Pauschalaussage“ anfangen soll. Ich spreche nicht drüber.
Starre an die Innenseite meiner Augenlider. Schalte ab.
Nach einer Zeit geht Paula zur Toilette – im abgeschalteten
Zustand nehme ich die Spülung wahr. Aber Paula kommt nicht zurück. Mit
Verzögerung interpretiere ich die folgenden Geräusche als das Knacken der
Treppe und das Öffnen der Studiotüre im 2. Obergeschoß. Für einen Moment huscht
mir der Gedanke durch den Kopf, dass sich der Studiobalkon ca. 15 Meter über
dem Boden befindet. Aber schließlich begreife ich: Paula schläft auf dem Sofa …
31, 40, 50 …
Als mich Paula mit den Worten, „Wie sieht’s aus? Der Kleine und
ich haben Frühstück gemacht“, weckt, wirkt sie entspannt, freundlich und aufgeräumt.
Das ist den ganzen Tag so. Nichts davon tut sie (nur) wegen der Kinder, nichts
wirkt aufgesetzt. Das würde ich merken.
Jetzt würde ich gerne Paulas Gedanken lesen können.
Mein Herz setzte kurz aus, meine Hände zittern...
AntwortenLöschenPaula hat Angst vor den Abendstunden, vor dem
"zu zweit Alleinsein",
sie weiß, du begehrst sie,
sie spürt es, wenn du ihr dein Gesicht zuwendest, wenn dein warmer Atem ihre Schulter streift, fühlt deine Hand auf ihrem Bauch und möchte sich wegdrehen, doch das wäre zu offensichtlich, denn verletzen will sie dich nicht.
Sie erträgt diese Nähe nicht und ist doch einsam, am Tage schützt sie sich vor Zärtlichkeiten und Intimitäten durch ständiges Beisein der Kinder oder Termine.
Und fürchtet sich täglich wieder vor der Nacht.
Es ist kein
" ICH WILL NICHT..."!
Sie kann nicht Paul, sie kann nicht...
Ich stimme Wilma zu, das hat mit Wollen nichts zu tun, wollen würde sie Sicherlich aber können kann sie nicht...
AntwortenLöschenIch weiß wie sich das anfühlt, und auch wie schlimm es ist den Geliebten Leiden zu sehen, es ist schlimm nicht zu können...
Sie könnte aber auch an den Ursachen und Gründen arbeiten, warum sie nicht kann... Was hälst sie davon ab? Wovor hat sie Angst? Zuviel Nähe? Warum? Wenn Paula nicht in der Therapie anfängt ihre Masken fallen zu lassen und sich den Ursachen ihrer Depressionen zu stellen, dann wird Paul auf ewig unbefriedigt zurückstecken müssen.
AntwortenLöschen"Es ist schlimm nicht zu können" - sorry, das ist einfach der falsche Ansatz. Doch, Du kannst. Paula auch. Aber ihr wollt nicht. Und um das zu verändern, müsstet ihr bereit sein, unter die Oberfläche zu gehen und dort den Schatten entgegen zu treten, die da lauern und euch aus dem Unterbewusstsein heraus steuern.
Paul, ich wünsche Dir ganz ehrlich, dass Deine Frau dies tut und es zwischen euch wieder Berg auf geht.
Alles Gute,
Maria