Im Bett wird es später auch spannend: Paula macht nur
Sekunden nach mir ihre Leselampe aus. Sie schmiegt sich an mich. Ich nehme ihr
Gesicht zwischen meine beiden Hände, streichle sie zärtlich, küsse ihre Wangen.
Sie spannt sich an. Ich spüre, dass sie meine Nähe sucht und gleichzeitig
fürchtet. Ich spüre ihr Unwohlsein. Und fühle mich selbst unwohl. Fühle mich
wie ein 14-Jähriger beim ersten Tête-a-tête. Ich lehne meine Stirn an Paulas
und flüstere: „Ich weiß nicht mehr, was du schön findest.“ Paula antwortet: „Aber
es ist doch ganz einfach, Paul. Es ist so einfach.“ Diese Antwort diffundiert
wie eine Lokalanästhesie in mein Gewebe, ergreift Besitz von mir. Bis sie in
meinem Großhirn ankommt. Dann werde ich pampig: „Wenn es einfach wäre, würde
ich nicht fragen. Für mich ist es nicht einfach. Aber vielleicht bin ich zu
doof, zu blockiert oder zu stoffelig, es zu begreifen.“
„Paul, sagt Paula, „Line schafft es doch auch, mich zweimal
am Tag anzurufen und zu fragen wie es mir geht. Während du nur rumgeisterst mit
dieser Leuchtschrift ‚Ich will Sex‘ auf der Stirn.“ „Ach, in Leuchtschrift ist
es jetzt schon, ja? Neulich war es nur ein Schild …“, möchte ich am liebsten
sagen. Ich kriege eben noch die Kurve und presse ein angesäuertes „Weil ich nicht
Line bin. Und Line nicht ich“, heraus. Und: „Ja, natürlich spielt bei mir, bei
uns Sex eine Rolle. Ich bin dein Mann und nicht deine beste Freundin.“ Paula
presst auch etwas heraus, allerdings unter Tränen: „Ich verstehe, dass du
unsere Beziehung unter anderen Voraussetzungen eingegangen bist. Nun hat es
sich so entwickelt, wie es ist. Wenn es zu schwer oder unmöglich für dich ist,
das zu leisten, was ich brauche, dann muss ich das wissen. Ich brauche
Verlässlichkeit. Mit allen Konsequenzen. Und das ist dann auch okay.“ Ich
schlucke. Die Gretchenfrage ist damit in den Raum gestellt. Jetzt nur keine
spontane unüberlegte Antwort. Beantworten muss ich die Frage trotzdem. Nicht
Paula! Sondern zunächst mir selbst.
Der Rest der Nacht ist fürchterlich: Wie lange noch kann ich
es noch aushalten, gefühlte 100 % in das Gelingen unserer Beziehung mit der Depression
zu investieren, aber nur gefühlte 0 % rauszubekommen? Kann ein Mensch/Mann/ich
so etwas aushalten? Will ich es (überhaupt noch) aushalten? Bin ich bereit,
meine – stereotypisch – „besten Jahre“ damit verbringen, Paula selbstlos zu
helfen, anstatt diese Jahre auszuleben? Wie wäre es, wenn wir keine Kinder
hätten? Sind wir nur noch wegen der Kinder zusammen? Richte ich mir Morgen das
Gästezimmer als meine kleine Insel im schwarzen Meer ein? Wäre – Konjunktiv:
wäre – eine Affäre ein probates Mittel, wenigstens die Hormonwogen zu glätten? Soll
ich versuchen, einen neuen Job zu bekommen – Teilzeit bei mindestens gleichem
Einkommen? Ist das alles realistisch? Geht es mir wie allen anderen Angehörigen Depressionskranker?
Oder bin ich einfach ein Arsch?
Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr.
Hallo Paul. Ich bin auch ein Angehöriger, aber kein Partner mehr. Ich kann dir nur zu gut nachfühlen... Ich bin schon einige Schritte weiter als du, aber in die falsche Richtung. Die spannende Frage ist doch: was wäre die Konsequenz??? Ich kenne sie jetzt Und das Gefühl ist echt scheisse. Ich will's mal mit nem aktuellen Song von Passenger sagen: "you only know you Love her if you let her go"! Ja, man weiß einfach nicht mehr, was man hat, solange man es hat. Ich beneide dich um das was du noch hast mit deiner Frau, ich hab's verloren. Aber das musst du ganz allein für deine Situation rausfinden. Nur stell dir vorher immer die ganze Welt ohne Paula und das ganze Wirrwarr mit den Kindern vor. Nicht lustig. Das sollte dir viel Mut geben. Gruß, uwe
AntwortenLöschenDu bist nicht schwach.
AntwortenLöschenDu bist mutig,
tapfer,
furchtlos,
verständnisvoll,
liebevoll,
empfindsam...
Du bist die Kehrseite der Medaille.
Hast mir die Augen geöffnet...
Ich bin nicht der Nabel der Welt!
Man dreht sich ausschließlich um sich selbst, bemüht, sich zu finden, zu verstehen, zu mögen...
Bin hochsensibel, aber
reichen meine sensiblen Antennen dann nur für mich selbst, nicht für die Menschen, um mich herum...?
Bin mit mir selbst beschäftigt, kann alles um mich herum kaum wahrnehmen, fühlen, spüren...
Doch jetzt hat sich meine Perspektive verändert.
Ich sehe meinen Mann, meine Familie, ihre Wünsche, ihre Bedürfnisse, ihr stetiges Bestreben mich trotz allem jeden Tag glücklich zu machen...
So wie du es tust für Paula.
Jeden Tag, immer wieder.
Vorher war ich blind ...
Danke Paul...
Hallo Paul,
AntwortenLöscheneins kann ich Dir, nachdem ich Deinen Blog gelesen habe, sagen: Du bist kein Arsch. Ganz sicher nicht.
Ich habe lange unter Depressionen gelitten und kann Dir nur eins zu dieser Sache sagen: Solange Du Deiner Frau soviel abnimmst und dieses fast schon übergroße Maß an Rücksicht nimmst, solange wird sie nicht gesunden. Weil sie es nicht muss. Das mag abstrus klingen, aber gerade depressive Menschen neigen dazu, die Verantwortung für ihr Wohlergehen von ihren Angehörigen abhängig zu machen.
Du bist aber nicht dafür verantwortlich, dass sie gesund wird. Das ist sie selbst. Und sie sollte mehr dafür tun. Es tut mir leid, wenn ich das so hart sagen muss, aber die Frau ruht sich in meinen Augen auf Deiner Hilfsbereitschaft aus. Vermutlich sieht sie das nicht einmal selbst, aber ein Aussenstehender, der sowas selbst durch hat, erkennt das Verhalten auf den ersten Blick (insofern Du hier das Ganze realistisch beschrieben hast).
Du solltest Dir Hilfe bei einer Beratungsstelle holen und mal mit Aussenstehenden, die Ahnung von Depressionen haben, reden. Als Angehöriger ist man einm enorm großen Druck ausgesetzt und wenn man dann nur Unverständnis erntet, wird es irgendwann richtig heftig für einen selbst. Davon abgesehen würde ich mich an Deiner Stelle mit dem Thema "Co-Abhängigkeit" auseinandersetzen. Auch als Angehörger von psyschich Kranken kann man in die Co-Abhängigkeit rutschen.
Ich wünsche Dir alles Gute!
Viele Grüsse
Maria