Paula, die Kinder und ich sind Zelten. Die Sonne steht eben über
dem Kamm des Massif Central, der leichte Dunst über dem schweren Tau verbreitet
romantische Stimmung. Der Kleine tapert
zum Empfangskiosk, holt die Tüte mit Baguette und Croissants. Der
Espresso zischelt durchs Steigrohr der Caffettiera. Wir
gucken alle ein wenig verknautscht aus unseren Schlafsackgesichtern: „Endlich
Frühstück!“ frohlockt der ältere der Brüder.
Paula nimmt sich ein Baguette, platziert es auf dem
campingtischtypisch wackeligen Campingtisch, schneidet eine Scheibe – nun ja,
eher ein keilförmiges Stück Brot – ab. „Du musst das Messer so winkeln, dass
die Schneide leicht von oben links nach unten rechts verläuft“, versuche ich
das Mathias’sche Wissen weiterzugeben. Vielleicht der etwas autoritären Formulierung
oder dem nächtlichen Liegekomfort geschuldet, drückt Paula ab: „Pass mal auf
mein Lieber, ich bin 46 Jahre alt und brauche sicher keinen Coach, der mir
erzählt, wie ich Brot zu schneiden habe, ja!?“ Es ist definitiv dem Mangel an
Kaffee geschuldet, dass ich auf diese Bemerkung nicht eingehe. Ich nehme mir
ein Croissant.
Heute hat Paula Frühschicht. Wie immer übernehme ich den
Wochenendeinkauf. Ich brauche einige Dinge, die man nur in der Stadt bekommt.
Paula hat das Auto. Also fahre ich mit dem Zug zur Klinik, hole das Auto, fahre
zum Supermarkt, stelle das Auto mit den Einkäufen wieder auf den Parkplatz.
(Die Sachen, die gekühlt werden müssen, trage ich im Rucksack nach Hause.)
Leider bin ich etwas überhastet aufgebrochen, bin nicht recht im Bilde, ob etwas
im Haushalt fehlt. Also packe ich vorsichtshalber Klopapier, Küchenrolle und
zwei Sechserpacks Apfelschorle ein.
Paula kommt nach Hause. Mit den Einkäufen. Sie klingelt,
sie ist mit Apfelschorle bepackt. Ich drücke den Türöffner und mache die
Wohnungstür auf, will Paula die schweren Flaschen abnehmen. Sie drängt mich zur
Seite. Möglicherweise hat sie heute zu wenig Koffein abbekommen: Ihr
Schlechte-Laune-Maschinengewehr ballert los: „Du musst vielleicht mal checken,
ob noch Klopapier, Küchenrollen oder Getränke da sind, bevor du einkaufen
gehst. Das habe ich alles schon am Mittwoch besorgt!“ Ich habe, erstens, ausreichend
Kaffee getrunken und bin, zweitens, 46 Jahre alt und brauche sicher keinen
Coach, der mir erzählt, wie ich einzukaufen habe. Meine Retourkutsche ist nicht
minder zaghaft: „So, nun pass du mal auf, meine Liebe. Und es ist mir
scheißegal, dass du gerade nach dem Dienst heim gekommen bist. Mag sein, dass
ich meinen Einkaufszettel nicht so organisiert zusammenstelle, wie du. Mag auch
sein, dass ich nicht so den Überblick habe. Oder vielleicht interessiert es
mich – wie du ja so gerne behauptest – nicht, was in diesem, übrigens unserem
gemeinsamen, Haushalt abgeht! Egal wie oder warum, jede noch so kleine
Bemerkung zum heutigen Einkauf ist vollkommen unnötig. Weder Klo-, noch
Küchenpapier, noch die Apfelschorle werden hier schlecht! Wenn du rumkacken
willst, dann bitte woanders. Ich hab’s echt nicht verdient. Also halt dich
zurück, halt dich einfach zurück, ja!?“
Der heftigste Streit seit Monaten entbrennt. Ich habe die
Nase gestrichen voll. Ich versuche Paula lautstark klarzumachen, dass auch eine
Depressionspatientin fair bleiben muss und dass das meiner Meinung nach auch ganz
einfach möglich ist: Einfach nur mal den Mund halten. Zum Beispiel. Paula sieht
das anders. Ich hätte ihren Zustand völlig aus den Augen verloren. Ich müsse
auf sie Rücksicht nehmen und nicht umgekehrt. Wir sind voll in Fahrt, wir
werden immer lauter, die Argumente – falls es überhaupt noch welche sind – hochgradig
emotional, verletzend. Es rauscht im Karton. Die Kinder streunen auf der Treppe
herum, der Große sagt halblaut: „Das muss doch jetzt nicht sein.“
Ich reiße die Schlafzimmertür auf, hinter der Paula und ich
mittlerweile streiten. „Doch, manche Dinge müssen manchmal sein!“
Das Wochenende ist eh wiedermal im Eimer.