Paula grollt über den Besuch bei einer Psychiaterin, die ihr
Frau Hämmerle, ihre Psychotherapeutin, empfohlen hat. Diese Sprechstunde ist
seit fast sechs Wochen geplant. Paula hat ihn so herbeigesehnt. Sie will
unbedingt eine stationäre Therapie machen. Wir haben das längst geplant, die Organisation
mit unseren (Schul)kindern und der Dorfhelferin längst durchgespielt.
Leider kriege ich von Paulas Lamento nur die Hälfte mit. Ich
habe heute im Büro eine aufwändige PowerPoint-Präsentation erstellt. Meine
Augen brennen von dem ewigen Gestarre auf den Bildschirm. Ich verzichte deshalb
auf die abendliche Buchlektüre. Paula aber liest. Und liest. Und liest. Ich
weiß, dass der Termin bei der Psychiaterin heute stattgefunden hat. Ich weiß,
dass Paula darüber sprechen will. Und ich spüre, dass sie angespannt ist. Aber
sie liest. Ich habe Mühe, mich wach zu halten. Aber es muss sein. „Halt dich
aufrecht, Junge“, befiehlt mir der Empathiebeauftragte in meinem Kopf, „bleib‘
bei ihr; es kann sich nur noch um eine Minute handeln.“ Es werden vier,
vielleicht fünf, bis Paula endlich ihr Buch weglegt und das Licht löscht.
Zwischen dem bereits wilden Gebräu aus Nachtelben, Schlafgeistern und Ideen für
die Optimierung der PowerPoint-Präsentation schaffe ich eben ein lallendes „Und
erzähl‘ …“. Und Paula erzählt.
Als ihre Geschichte zu Ende ist, legt sie den Kopf auf meine
Schulter; ich meinen Arm um sie. Ich streichle ihr Gesicht. Sofort spüre ich
die Tränenspur auf ihrer Wange. Nur mit Mühe schafft es meine Lippenmotorik die
Schwere des Schlafs nochmals für einen Augenblick ungelenk zu überwinden: „Ist
sonst noch was?“. Paula sagt: „Ach, ich bin irgendwie so traurig heute.“
In der Nacht träume ich von unserem letzten Mallorca-Urlaub:
Am Strand streunen Frauenfiguren in weißen Praxiskitteln umher. Sie fragen
mich, ob ich „kaufe wolle Sonnebrill von echde gudde originale Qualitäten fur
mein hubsche Frau“. Einer besonders aufdringlichen Figur zertrümmere ich in einem
Schreianfall den Schädel mit der Computermaus. Das Luder stürzt zu Boden, aus
der Karkasse ihres Kopfes springt ein Osterhase heraus und hoppelt im
blendenden Sonnenlicht davon.
Ich fühle mich leer.